Ob Schlachthof oder Wochenmarkt, ob Bauernhof oder Hundezucht, ob Bäckerei oder Schweine-Mastbetrieb – Björn Z. kennt sie alle. Der Mann, der seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, ist Tierarzt. Elf Semester Studium, Praktika, Staatsexamen, Promotion, Assistenzzeit, rund 2300 Euro netto. Viel Aufwand für nicht allzu viel Geld. „Wie viele meiner Kollegen habe ich Tiermedizin studiert, weil ich die Welt ein bisschen besser machen wollte“, sagt Björn Z., „heute weiß ich, dass das in einer Behörde nicht möglich ist“.

Björn Z. arbeitet als Amtstierarzt in der Region Mainfranken. Das ist kein Job für zarte Gemüter. Er weiß, wie es in Schlachthöfen zugeht. Dass es dort üble Tierquälereien gibt, dass Tiere nicht ordentlich betäubt und nicht schmerzlos getötet werden. Der Tauberbischofsheimer Schlachthof, gegen den seit Frühjahr ermittelt wird, sei „ganz sicher kein Einzelfall“, sagt er. Und seine Kollegen, die bei den brutalen Schlachtungen dabei gewesen und nicht eingeschritten sein sollen und denen nun Konsequenzen drohen, tun ihm leid. „Wenn sie sanktioniert werden, sind sie Bauernopfer“, sagt er, „dann werden sie abgestraft für etwas, was politisch so lange toleriert wird, bis es mal auffliegt“.

Es gibt viel zu wenig Amtstierärzte

Dass der Tierschutz seit 2002 als Staatsziel im Grundgesetz verankert ist, sei ja gut und schön, sagt Björn Z. Aber was nütze das, wenn es viel zu wenige Amtstierärzte gibt, die die Gesetze und Regelungen überwachen? Und wenn diese Amtstierärzte auch noch an der kurzen Leine gehalten würden? In den Ämtern würden seinen Kollegen Scheren in die Köpfe gepflanzt. „Wenn du ständig hörst, dass du die Auswirkungen dessen, was du vorhast, bedenken sollst, verinnerlichst du das“, sagt er, „du willst ja auch weiterkommen in deinem Beruf“.

Schlachthöfe als wichtige Arbeitgeber

Schlachthöfe seien „wichtige Arbeitgeber in ihren Regionen, in den großen werden bis zu 800 Schweine pro Stunde geschlachtet“. Amtstierärzte, „die da durchgreifen und wegen kleinerer, aber durchaus tierschutzrelevanter Verstöße den Betrieb stoppen, haben kein schönes Leben mehr“, sagt Björn Z. Revoluzzer machten nun mal in einer Behörde keine Karriere.

Viel zu oft würden verletzte und geschwächte Tiere mit Schlägen aus einem Viehtransporter in einen Schlachthof getrieben. Eingeschritten werde da so gut wie nie. „Was soll ein Amtstierarzt in diesem Fall auch machen?“, fragt Björn Z. Unterbringungsmöglichkeiten für diese Rinder und Schweine habe er nicht. „Und wenn er sie mit dem Lkw ein paar Hundert Kilometer weit dorthin zurück schickt wo sie herkommen, leiden sie ja noch länger“.

Geschlachtet wird meist im Akkord

Auch der vielzitierte Verbraucherschutz ist nach den Worten des Amtstierarztes nicht das, was der Fleischesser sich darunter vorstellt. „Bei der Fleischbeschau laufen die Tierhälften am Fließband an dir vorbei“, erzählt er, „pro Stück hast du ein paar Sekunden Zeit. Um da was Verdächtiges zu sehen, musst du nicht nur schnell sein. Du musst auch die Traute haben, das Band anhalten zu lassen“. Die Schlachthof-Leute, von denen die meisten im Akkord arbeiteten, würden „dann sehr sauer“ und beschwerten sich beim Amt. „Und egal, ob dein Verdacht falsch war oder richtig – dann hast du Feinde.“

Björn Z. weiß, dass in den Schlachthöfen Zeit noch mehr Geld ist als anderswo. Der Verbraucher will billiges Fleisch. Und davon möglichst viel. „Meine Kollegen, die Fahrer, die Arbeiter – von allen gibt es viel zu wenige und alle stehen unter einem irrsinnigen Druck.“ Früher seien an den Tierhälften stichprobenartig Lymphknoten oder Herzen aufgeschnitten worden, um möglicherweise versteckte Infektionen oder Krankheiten festzustellen. „Heute darf das auf Veranlassung der EU nur noch gemacht werden, wenn ein begründeter Verdacht vorliegt.“

Björn Z.: „Es werden nicht alle Höfe kontrolliert.“

Zeit kosten auch die Kontrollen von Bauernhöfen. Da sollen die Amtstierärzte unangemeldet erscheinen, den Zustand der Tiere beurteilen, die Einhaltung von tierschutzrechtlichen Normen prüfen. Und sie sollen die Dokumentation der Landwirte unter die Lupe nehmen: Welche Arzneimittel werden eingesetzt, woher kommen sie, wie lange wurden sie verabreicht, wie werden die Ställe desinfiziert . . . „Es werden aber nicht alle Höfe wirklich kontrolliert“, sagt Björn Z., „wenn der Landwirt im Bauernverband oder in der Regierungspartei aktiv ist, traut sich kaum ein Amtsveterinär, den Betrieb auf links zu drehen“.

Gebe es offensichtliche Missstände, „redet man mit dem Bauern, erklärt und berät, damit die Situation sich verbessert oder wenigstens nicht verschlechtert“, sagt Björn Z. Manchmal werde dem Landwirt eine Frist gesetzt, innerhalb der er für Abhilfe sorgen soll. „Ist sie abgelaufen und er hat nur einen Teil der Auflagen erfüllt, wird dem Amtstierarzt in seiner Behörde klargemacht, dass vor der Einleitung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens weitere Gespräche mit dem Bauern geführt werden sollen.“ Und wenn sich trotzdem nichts ändert? „Dann wird vielleicht ein kleines Bußgeld verhängt, der Landwirt erhebt Einspruch dagegen, die Sache geht zur Justiz – und dort wird das Verfahren meistens eingestellt.“

Manchmal muss die Polizei helfen

Und dann leben Amtstierärzte auch noch gefährlich. In Brandenburg hat 2015 ein Landwirt, dessen Rinder das Veterinäramt einziehen wollte, einen Amtstierarzt mit einer Schrotflinte erschossen. 2016 hat in Nordrhein-Westfalen ein Schweinemäster zwei Amtstierärzte mit einer Eisenstange schwer verletzt, 2017 hat ein Bauer in Niedersachsen einen Amtstierarzt in den Bauch geschossen. Auch Björn Z. ist schon angegriffen worden. „Einmal ist einer mit einer Mistgabel auf mich los gegangen, ein anderer hat mich mit einem Knüppel bedroht.“ Was macht man dann? „Man ruft die Polizei“, sagt der Tierarzt, „aber damit ist das Problem ja nicht gelöst“. Schließlich müsse man den Hof ja wieder kontrollieren. „Da braucht man dann Polizeischutz.“

Björn Z. ist desillusioniert. „Wir kämpfen gegen Windmühlen“, sagt er. Erfolgserlebnisse hat er selten. „Nur im Bereich der Antibiotika-Gabe haben wir was erreicht.“ Der Einsatz dieser Mittel sei in der Tiermedizin auf „ein Mindestmaß runter gefahren“, die Gefahr von Resistenzen dadurch „minimiert worden“.

Antibiotika in der Hühnerhaltung

In größeren Mengen werden Antibiotika laut Björn Z. nur noch in der Massen-Hühnerhaltung angewendet. „Das geht nicht anders“, sagt die Tierarzt, „wenn du heute in einem Hühnerstall, wo zig Tausend Tiere gehalten werden, bei Minustemperaturen die Tür auflässt, sind morgen alle krank“. Bis zu 42 Kilo lebendes Hühnerfleisch dürfen auf einem Quadratmeter Boden gehalten werden. Bei einem Gewicht von eineinhalb Kilo pro Tier drängen sich 28 Hühner auf einer Fläche, die nur wenig größer ist als ein Standard-Kopfkissen.

Masthühner sind, so Björn Z., „Hybridzüchtungen, die sehr schnell wachsen“, aber auch „recht anfällig sind“. Geschlüpft im Brutschrank dauert das Leben eines „Kurzmasthuhns“ drei bis vier Wochen. Dann landet es, meist tiefgefroren und im Ganzen im Supermarkt. Das „Mittellangmast“- und das „Langmasthuhn“ muss 34 bis 42 Tage durchhalten, bis es geschlachtet und in Einzelteilen verkauft wird. Oft schaut es aus wie eine Karikatur seiner Spezies und kann kaum noch laufen, weil es die beim Verbraucher so beliebte dicke Brust und fleischige Schenkel hat.

Der Verbraucher ist gefordert

Würden in den Ställen, in den Schlachthöfen, auf den Transporten weniger Tiere leiden und wäre der Verbraucher besser geschützt, wenn es mehr Amtstierärzte gäbe? „Na klar“, sagt Björn Z., „aber die müsste man auch durchgreifen lassen“.

Außerdem ist da ja auch noch der Verbraucher. „Es nutzt nichts, über geschredderte Küken zu jammern, über Säue in engen Buchten auf Spaltenböden und Rinder, die halb betäubt geschlachtet werden. Die Leute müssen den Zusammenhang zwischen Tierhaltung und Fleischpreisen kapieren. Ein Kilo Schweinefilet für 5,99 Euro kann nicht von glücklichen Tieren kommen.“